Vor 70 Jahren

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Vor 70 Jahren

Wie war es vor 70 Jahren in unserer Pfarrgemeinde?

 Die ältere Generation, unsere Großeltern waren vom Krieg an der Front und der Flucht aus Siebenbürgen traumatisiert. Die Jahrgänge 1910 – 1930 litten unter dem Verlust der Heimat, der vielen Opfer und der Toten. Ihr Blick war rückgewandt, sie verklärten die alte Heimat und trugen schwer an ihrem Schicksal und Flüchtlingslos. Der Krieg hatte ihr Leben von Grund auf verändert; die Heimat, ihr Besitz und Staatsbürgerschaft waren verloren. Als in Österreich vorläufig „Gelittene, Geduldete“ versuchten sie die schweren Schläge und eigene Schuld zu verarbeiten, Vergebung und Gnade zu finden. Aus einst stolzen und selbstbewussten Bauern, Handwerkern und Intellektuellen waren sie nun arme, heimatlose und von Heimweh geplagte Flüchtlinge und Hilfsarbeiter.

Die Notsituation stärkte ihr Gottvertrauen und festigte ihre Gemeinschaft, denn sie wussten, dass sie nur gemeinsam stark sind! Sie stellten sich als verlässliche, pünktliche und fleißige Arbeiter den Herausforderungen in Österreich. Erste Schritte zur neuen Heimatfindung waren möglich. Im christlich-nachbarschaftlichen Geist und ihrer volkskirchlichen Tradition schufen sie sich vertraut-heimatliche Zustände in der Fremde.

Die mit ihren Müttern, Großmüttern und Alten 1944 mit geflohenen Kinder und Jugendlichen, unsere Eltern, bewältigten die Herausforderungen anders, ganz gegenwarts- und zukunftsorientiert. Sie waren in die Tragik und Verantwortung des furchtbaren Krieges nicht eingebunden und die Väter erzählten ihnen nichts vom Krieg. So kannten sie die Schuld und Last der Geschichte nicht. 1954, nachdem sie die österreichische Staatsbürgerschaft per Option erhalten hatten, waren sie voller Energie und ergriffen die Initiative, nahmen die sich bietende Chance wahr. Sie gründeten Familien, bauten Häuser und eine neue Heimat auf.

1700 Evangelische unter der Leitung und starken Führung von Pfarrer Mathias Schuster gründeten die neue Pfarrgemeinde. Er schreibt, es gehörten 1100 Siebenbürger Sachsen, 450 österreichische Einheimische und 150 weitere Heimatvertriebene, wie Donauschwaben, Schlesier, Zipser u.a. dazu. Die fast 75% Flüchtlings-Pfarrgemeinde wuchs zur christlichen Gemeinschaft, zur „Kirchengemeinde“ zusammen. So konnten, wollten und stellten sie sich einer fast unvorstellbaren Aufbautätigkeit, die durch die selbstlose, gemeinsame Mitarbeit und Robot möglich wurde. Sie mussten fast aus dem Nichts alle Strukturen und Gebäude der neu gegründeten Pfarrgemeinde aufbauen. Die verschiedenen kirchlichen Traditionen und Kirchenverständnisse mussten zusammengeführt werden und bald schon erkannte man in der Vielfalt und Verschiedenheit auch den Reichtum. Vertrauen zueinander und Gottvertrauen wuchsen zunehmend.

Die Kirche bot seelische Beheimatung in dunklen Zeiten und neue Zuversicht und Hoffnung. Die in die zukünftige Siedlung Rosenau transportierte Barackenkirche sammelte die Christen und weckte mit den Ansiedlungen in Rosenau, Baumgarting, Steindorf, Lenzing usw. den Wunsch nach einer eigenen Kirche. Unsere österreichischen Bauern stellten ihre Transportmöglichkeiten zur Verfügung, unzählige freiwillige Arbeitseinsätze in der Pfarrgemeinde, parallel zum Eigenheimbau und großzügige finanzielle Förderungen und Spenden ermöglichten innerhalb von nur 20 Jahren den Aufbau unserer Pfarrgemeinde mit Kirche, Friedhof und Friedhofskapelle, Kindergarten mit Gemeindesaal, Altenwohnheim und großen Pfarrhaus.

Heute, nach 70 Jahren, in dritter Generation, in vom Wohlstand geprägter Gesellschaft, haben wir die Aufgabe das uns überlieferte materielle und geistliche Erbe weiter zu führen. Im Gottvertrauen, Zusammenhalt und der Gnade, für die auch unsere Gnadenkirche steht, liegt heute noch ein großer Schatz! Die Erfahrungen unserer Altvorderen schenken uns Mut auch die herausfordernden Zeiten als Christen zusammenzustehen und im ökumenischen Geist das zu tun, wozu wir da sind: als Christinnen und Christen für die Schöpfung, die Menschheit, Friede und Zukunft einzustehen. Dazu helfe uns Gott!

Altpfarrer Volker Petri

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